Virabhadrasana – der Krieger im Yoga
Jede Yoga-Haltung ist nicht ausschließlich eine Körperhaltung, sondern verkörpert vielmehr eine gewisse Qualität des Lebens. Die Qualität von „Virabhadrasana“ verstehe ich als die Fähigkeit, dem Leben zu antworten:
Mit dem Einatmen erlaube ich allem, was sich in diesem Augenblick zeigt, da zu sein. Das Einatmen ist wie so ein “ JA! – Okay DAS hier“.
Mit dem Einatmen richte ich mich auf. Das heißt: Ich wachse – mit jedem zarten Atemzug – in meine eigene Aufrichtigkeit hinein.
Da ist eine Echtheit mit dem, was gerade stattfindet. Egal, ob ich mich in diesem Moment körperlich wirklich kraftvoll fühle oder mich in einer äußeren Situation erkenne, die ich als schwierig empfinde. Ich bin. Und was immer sich zeigt, zeigt sich. In mir, durch mich, mit mir. Völlig egal, WIE ich das gerade finde.
Jeder Atemzug hebt sanft mein Brustbein an und berüht mein Herz – und damit die Qualität, berührbar zu sein.
Meine Füße berühren den Boden. Ich stehe auf dem Boden. Ich habe Bodenhaftung. Ich träume nicht. Ich stehe hier. Fest auf dem Boden der Tatsachen.
Ich stehe dort, wo ich stehe.
Ich stehe HIER!
Und hier ist genau der „richtige“ Platz!
In der Bhagavad-Gita (eine Erzählung, die die verschiedenen Aspekte des Yogas veranschaulicht) steht Arjuna (der Krieger) mitten auf dem Schlachtfeld. Das Schlachtfeld ist der Schauplatz dieser Erzählung. Es symbolisiert unser Leben. Das GANZE Leben! Denn menschliches Sein bedeutet, ALLE! Facetten des Lebens lebendig zu erfahren (nicht nur gedanklich zu verstehen ;- )
Alle Facetten: Das heißt, es geht darum, sich mit dem Leben „dreckig“ zu machen (anstatt mit sauberen Sonntags-Klamotten nur zuzusehen).
Sich „dreckig“ machen bedeutet, sogenannte „Fehler“ zu machen und lebendig zu erfahren, wie sich dieses oder jenes anfühlt. Es bedeutet, sich kraftvoll aber auch kraftlos zu fühlen. Es bedeutet, sich klar aber auch völlig im Dunkeln tappend zu erleben. Es bedeutet letzlich, über die Ideen von „Verstehen“ hinauszuwachsen und im Erleben selbst ganz lebendig zu werden.
Es gibt kein „falsch“!
Und natürlich gibt es „falsch“.
Beides stimmt.
Und es geht überhaupt nicht darum, ob hier irgendetwas stimmt oder nicht stimmt
(…)
Als Arjuna erkennt, dass an beiden Fronten, Freunde, Verwandte, Lehrer und Schüler stehen, die im Begriff sind, sich gegenseitig umzubringen, beginnt er zu zögern.
Arjuna ist ein „Krieger“. Es ist gewissermaßen seine Aufgabe – sein Dharma – zu kämpfen. So wie ein Musiker das Dharma hat, zu „musizieren“ – auf welche Weise auch immer.
Es gibt unendliche Weisen, das zu SEIN, was man IST. In jedem Körper, zu jeder Zeit, in jeder Situation nimmt dieses SEIN eine einmalige Form an. Und alles, was auftaucht, IST dieses Sein: Jede Erkenntnis, jedes Körpergefühl, jede Empfindung, jeder Gedanke, jedes Geräusch, jeder Geruch und jede Bewegung, die von Moment zu Moment von ganz alleine geschieht, ist Teil dessen und absolute Perfektion. Auch wenn sie sich so anfühlt, wie „verloren sein“ oder „hektisch sein“ oder „ängstlich sein“.
Arjuna, der Krieger, steht also auf dem Schlachtfeld und ganz plötzlich weiß er nicht mehr, was das „richtige“ ist und er beginnt ein Zwiegespräch mit „Gott“:
Was kann ich tatsächlich mit meinen Waffen verletzen und was ist und bleibt ewig unversehrt?
Ist diese Qualität der absoluten Unversehrtheit so ein „Spiri-Konzept“ oder kann ich das tatsächlich selbst für mich herausfinden?
Ist angesichts dieses „heilen Kerns“ alles erlaubt?
Wer ist der Handelnde? Welche Instanz in mir entscheidet darüber, was Form annimmt, was geschieht, was ich tue oder nicht tue?
Woher stammen, die Ideen von „richtig“ und „falsch“?
Wer bin „Ich“?
Diesen Fragen lebendig nachzugehen, zu erleben, wie es sich anfühlt, aus dieser oder jener Strategie heraus zu handeln – einfach weil es das naheliegenste ist oder weil es das einzig ist, was mir gerade zur Verfügung steht…
…ist Yoga!
Sich zu fragen: Gibt es eine Weise, die näher dran ist am Leben. Die sich echter anfühlt, lebendiger, zarter, berührter,…
…ist Yoga!
Nicht auszuweichen, sondern weiter zu gehen, Schritt für Schritt, Atemzug für Atemzug. DAS hier lebendig zu erfahren – egal wie erschreckend, egal wie erhebend es auch sein mag,…
…ist Yoga!
Auszuweichen, Eiertänze um dieses Gefühl herum zu veranstalten, um bloß, bloß nicht hineinzufallen in dieses unberechenbare Leben,…
…ist Yoga!
Yoga ist die Verbindung von der scheinbaren Trennung von „richtig“ und „falsch“, „innen“ und „außen“, „Liebe“ und „keine Liebe“, „Angst“ und „Mut“, „Ich“ und „nicht-Ich“,…
Nächster Retreat-Tag zu genau diesem Thema:
Samstag, 29.09.2018 9:00-17:00 Uhr in Kirchheim/Teck
Von Herzen
Verena