Warum freies Bewegen, Schütteln und Tanzen?

Vor zwei Tagen habe ich neunzig Minuten lang nur die Bewegungen gemacht, die spontan aus meinem Körper geflossen sind. Die Musik hat mich eingeladen, manchmal auch stark herausgefordert, weil sie zunächst nicht meiner Stimmung entsprach und weil ich sie nicht als „schön“ empfunden habe. Die meiste Zeit aber haben mich meine eigenen Bewegungen überrascht. Es war kein übliches Tanzen. Es war mehr ein Sich-Befreien, Sich-Zulassen, ein Abgeben an die Intelligenz des Körpers, trotz der Gedanken und Gefühle, die auch da waren. Ich hatte eine verspannte Schulter- Nackenmuskulatur und die wollte und wollte bewegt werden. Ich war mich überhaupt nicht sicher, ob es dadurch nicht viel schlimmer werden würde, aber ich lies meinen Körper einfach machen, was er machte und er schüttelte sich wild.

Ich stampfte mit den Füßen, wog meine Hüfte, ohne mich zurückzunehmen. Ich schlüpfte unwillkürlich in verschiedene Qualitäten. Mal war ich eine spanische Flamenco Tänzerin, dann ein roboterartiger Soldat, dann ein freies, galopierendes Pferd und eine tanzende Fee.

All das war ich für einen Augenblick.

Solche eine Fülle.

Was ich gemacht habe? Ich habe dort, wo ich Yoga unterrichte, eine „Wave“ angeboten und mit den Menschen, die sonst in meine Yogastunden kommen, getanzt. Bzw. haben wir uns frei bewegt. Manche haben sich „nur“ zart gewogen, aber einige haben dabei ihre gewohnten Körpermuster verlassen. Von außen ist nicht sichtbar, was passiert. Es geht nicht darum, sich besonders „schön“ oder „extravagant“ zu bewegen. Es ist wie beim Yoga. Es geht darum, wie du HIER auftauchst, mit deinem Körper. Denn dein Körper ist deine Eingangstür, um wirksam zu sein. Ohne deinen Körper, ohne dein lebendiges Tun, kann dir niemand antworten und kann dich niemand sehen. Und das, was wir uns am meisten wünschen ist, dass wir uns zeigen können wie wir sind und dass wir einander wirklich und echt begegnen.

Dieser Wunsch scheint in unserer Realität fast ein utopischer Wunsch zu sein, denn es gibt oft nur sehr wenige Räume, in denen wir solch eine Erfahrung machen. Wenn wir Glück haben, haben wir intime Beziehungen in denen das geht. Aber selbst in intimen Beziehungen haben wir uns manchmal in scheinbar sichere Muster begeben und wundern uns dann, warum der andere uns nicht mehr sieht.

Tatsächlich ist es jederzeit möglich, wieder GANZ und lebendig hier aufzutauchen. Und zwar ohne, dass du etwas bestimmtes verändern musst. Und doch wirst du etwas verändern, aber sehr wahrscheinlich nicht so wie du es dir (aufgrund der eigenen Künstlichkeit) vorstellst. Denn dein wirkliches HIER Auftauchen, hat in erster Linie damit zu tun, wem oder was du (innerlich) antwortest.

Hörst du gänzlich auf die künstlichen Angebote oder hörst du eine andere, lebendige Qualität in dir? Eine Qualität, die auf gewisse Weise nichts weiß, denn sie macht sich kein Bild. Weder von dir, noch von deinem Gegenüber. Aber diese Qualität pulsiert. Sie ist wach, sie ist verbunden. Mit allem, was in dir und in deinem Gegenüber lebendig fließt.

Um mehr du selbst zu sein, musst du deine eigenen künstlichen Bilder von dir „überschreiben“ und die Tür aufmachen für das, was lebendig und spontan aus deiner ursprünglichen Verbundenheit heraus Form annehmen will.

Eine Möglichkeit feste Muster zu überschreiben, ist das Bewegen deines Körpers. Das muss keine Wave sein. Es kann Yoga sein, Tai-Chi, schwimmen und sich hineinwerfen in die Wellen des Meeres,…

Hast du schon einmal beobachtet, dass Tiere sich am Tag mehrmals kurz schütteln? Sie machen das ganz natürlich. Sie schütteln sich frei. Schütteln verhindert das Festsetzen künstlicher Muster im physischen Körper.

Bei einer Wave arbeiten wir mit Musik. Wir bewegen uns durch 5 verschiedene Rhythmen bzw. Qualitäten hindurch, die wie eine Welle aufgebaut sind. Die Qualitäten sind: 1. Das Weibliche, 2. Das Männliche, 3. Das Chaotische, Transformative, 4. Das spielerisch Freundvolle und 5. Die Stille.

Wir lassen uns von der Qualität der Musik berühren und davon, was diese Qualität jeweils spontan in uns auslöst. Und zwar nicht in erster Linie gedanklich und bewusst, selbst wenn das auch seinen Platz hat. Wir übergeben uns jedoch mehr und mehr an die Körperintelligenz. Diese entscheidet letztlich was „getanzt“ wird. Dabei muss keine Bewegung nach irgendetwas ausehen. Es geht vielmehr darum, was durch die Bewegung frei gesetzt wird. Denn egal wie leicht oder schwer dir dieser Tanz letztlich fällt, am Ende fühlst du dich immer leicher, wacher, erfüllter, lebendiger, voller und satter.

Ich war nassgeschwitzt am Montag. Und glücklich. Voller Kraft und Energie habe ich dann die zweite Yogastunde unterrichtet und war am Abend noch lange Zeit produktiv. Am nächsten Morgen bin ich um sechs Uhr aufgestanden und habe mich voller Freude und Tatendrang an den Tag verschenkt.

Wenn wir uns das künstliche Feld wie eine Landschaft voller vorgefertigter Linien, Schienen und Muster vorstellen, dann ist es offensichtlich, dass es in so einer Landschaft leicht ist, vorherzusehen, wo sich jemand aufhält, wie jemand reagiert und welche Entscheidungen er oder sie treffen wird. Denn alles passiert angesichts angebotener Schablonen.

In so einer Welt glauben wir, alles einordnen zu können. Wir glauben erkennen zu können, wer die „Guten“ und wer die „Bösen“ sind. Dass wir uns während dieser künstlichen Unterscheidung im künstlichen Feld aufhalten und die natürliche Verbundenheit zum Teil untergraben, bemerken wir vielleicht gar nicht.

Das freie Bewegen, das Raustreten aus Bewegungsmustern, das spielerische Verkörpern von unterschiedlichen Qualitäten, von denen dich keine einzige definiert, kann dich unterstützen, das lebendige Feld zu nähren. Aber es ist nicht zwingend. Denn das lebendige Feld folgt keiner künstlichen Logik. Du kannst also eine Wave tanzen und egal wie wild du dich bewegst, du bleibst in deinem eigenen Bild stecken. Oder: Du kannst eine Wave tanzen (und zwar egal wie das von außen aussieht) und du berührst wirklich den lebendigen Raum in dir.

Von hier aus sieht alles ein wenig anders aus. Das heißt nicht, dass wir nun nicht deutlich erkennen könnten, was bei uns oder wo auch immer falsch läuft. Im Gegenteil! Erst jetzt können wir wieder wirklich – aus uns selbst heraus – erkennen, was stimmig ist und was nicht. Ohne die Kontrolle der Angst. Ohne jede künstliche – innere oder äußere – Kontrolle, sondern aus unserem PUR-Sein und unserer ursprünglichen Verbundenheit heraus.

Mehr von mir findest du u.a. auf Youtube:

Außerdem in meinem Buch: https://buchshop.bod.de/mein-leben-in-yogahaltungen-verena-kamphausen-9783754339619

Melde dich gerne bei mir: verena@yogalini.de